Nachhaltigkeit im Beschaffungsprozess
A. Bedarfsanalyse
Während der Bedarfsanalyse stellen Sie sich die erste Frage des öffentlichen Einkaufs: Was brauche ich?
Oft werden Produkte aus einer Gewohnheit heraus gekauft und nicht notwendigerweise, weil sie die beste Lösung für ein Problem bieten. In der Bedarfsanalyse untersuchen Sie systematisch, welche Lösung und damit auch welches Produkt für Sie das Richtige ist.
Folgende Nachhaltigkeitsaspekte können bei der Bedarfsanalyse berücksichtigt werden:
Brauchen wir dieses Produkt? Bzw. besteht der Bedarf weiterhin?
Kann der Bedarf auch anders gedeckt werden? z.B. durch Recycling, Tauschbörsen, Reparatur eines vorhandenen Produkts, Kauf eines gebrauchten / refurbished Produktes, Kauf eines Multifunktionsprodukts, Kauf eines nachhaltigeren Alternativprodukts
Lebenszykluskosten des ausgewählten Produkts (Tools und Arbeitshilfen zur Berechnung der Lebenszykluskosten finden Sie auf der Seite des Umweltbundesamtes sowie einen Lebenszyklus-Tool-Picker beim Kompetenzzentrum Innovative Beschaffung).
Welche sozialen und ökologischen Risiken sind für dieses Produkt relevant? Wie kann ich diese durch eine gezielte Beschaffung bewältigen? Mehr Informationen dazu finden Sie hier sowie im CSR Risiko-Check des "Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte".
Sind alle Ausstattungselemente wirklich notwendig? Können nicht benötigte Extras weggelassen werden?
Priorisieren Sie die einzelnen Funktionen eines Gerätes. Weniger wichtige Funktionen können beispielsweise weniger leistungsstark oder schnell sein. So sparen Sie beim Einkaufspreis und ggf. auch beim Energieverbrauch. Diese Preisersparnis kann dann beispielsweise in eine höhere Energieeffizienz investiert werden (z.B. ein energieeffizienter Multifunktionsdrucker, der gute Druckergebnisse erzielt, aber nur über eine langsame Fotodruckfunktion verfügt).
B. Marktanalyse
Die Marktanalyse ist Ihre Möglichkeit, einen Überblick über die vorhandenen Alternativen zu gewinnen und ggf. mit dem Markt in den Dialog zu treten. Eine einfache (Internet-)Recherche reicht bei einigen Produkten aus. Aber gerade bei komplexen Produkten oder Dienstleistungen lohnt es sich, die Marktteilnehmer zur Mitarbeit zu animieren.
Folgende Maßnahmen können bei der Marktanalyse getroffen werden:
Informationsveranstaltungen für Unternehmen zur Vergabepraxis allgemein und den anstehenden Vergabeverfahren im Besonderen
Messebesuche und Informationsgespräche mit Anbietern
Sammeln von Informationen zu Produkten, die Gütezeichen und Standards unterliegen – Vergleichen Sie diese im Gütezeichenfinder!
Veröffentlichung von Vorabinformationen mit den geforderten Nachhaltigkeitskriterien
Sondierungsgespräche mit langjährigen Vertragspartnern: Welche zusätzlichen ökologischen und sozialen Anforderungen werden in kommenden Ausschreibungen gestellt? Welche dieser Anforderungen können in bereits laufende Verträge integriert werden?
Analyse: Welche Produkte bzw. Produktteile haben besonders hohe soziale und ökologische Risiken? Hier können externe Experten von Forschungsinstituten oder Nichtregierungsorganisationen befragt werden. Bei größeren Anschaffungen mit Innovationscharakter können auch wissenschaftliche Studien in Auftrag gegeben werden.
Alle Aktivitäten während der Marktanalyse und des Dialogs mit Markteilnehmenden müssen transparent gestaltet und für alle potentiellen Bietenden zugänglich sein. Keine dieser Aktivitäten darf die Teilnahmemöglichkeiten eines Anbietenden an der Ausschreibung einschränken (z.B. durch Informationen, die nur während eines Workshops weitergegeben wurden). Auch dürfen potentiellen Bietenden keine Vorteile im Vergabeprozess verschafft werden (z.B. dadurch dass technische Präferenzen für ein bestimmtes Produkt geäußert wurden). Alle Marktanalyseaktivitäten und -ergebnisse sollten entsprechend in der Vergabeakte dokumentiert werden und (sofern diese im Vergabeverfahren relevant sind) den Bietern mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe zur Verfügung gestellt werden.
C. Auftragsgegenstand
Anhand des Auftragsgegenstandes definieren Sie das gesuchte Produkt oder die zu erwerbende Dienstleistung. Der Auftragsgegenstand sollte sorgfältig formuliert werden, da er bestimmt, welche Kriterien in die Leistungsbeschreibung und Zuschlagskriterien aufgenommen werden können. Ein präzise formulierter Auftragsgegenstand sollte bereits Umwelt- und Sozialreferenzen enthalten, um ihre Relevanz für die Ausschreibung zu unterstreichen.
Sie haben über die Auswahl des Gegenstandes die Möglichkeit, Umweltaspekte und Sozialstandards in das Vergabeverfahren einfließen zu lassen.
Beispiele:
- Flügeltürenschränke und Regale aus emissionsarmen Holzwerkstoffplatten und aus nachweislich nachhaltiger Forstwirtschaft
- Fair gehandelter Kaffee
- Strom aus erneuerbaren Energiequellen (Ökostrom)
Lebensmittel aus ökologischem Anbau
D. Leistungsbeschreibung
Die Leistungsbeschreibung stellt die Grundlage für die Erstellung der Angebote durch Bieter dar. In der Leistungsbeschreibung ist der Auftragsgenstand so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben, damit er für alle Unternehmen im gleichen Sinn verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können. Dabei sollte stets (auch im Hinblick auf das Angebot von nachhaltigen Alternativprodukten) auf einen ausreichenden Wettbewerb geachtet werden. Daher sollte auf Vorgaben welche den Markt zu stark eingrenzen (z.B. sehr enge Farbvorgaben für Kleidungsstücke mit Angabe des RAL-Farbtons) verzichtet werden.
Die Merkmale des Auftragsgegenstandes können in Form von Leistungs- oder Funktionsanforderungen, oder einer Beschreibung der zu lösenden Aufgabe definiert werden. Die Beschreibung kann so viele Forderungen nach ökologischen und sozialen Aspekten beinhalten wie vom Beschaffenden gewünscht. Voraussetzung ist, dass die Merkmale einen Auftragsbezug aufweisen und im Verhältnis zum Beschaffungsziel des Auftrages stehen.
Bezüglich des Auftragsbezugs stellt die im Oberschwellenbereich geltende VgV klar, dass die in der Leistungsbeschreibung genannten Merkmale „sich auf den Prozess oder die Methode zur Herstellung oder Erbringung der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus des Auftragsgegenstandes einschließlich der Produktions- und Lieferkette beziehen [können], auch wenn derartige Faktoren keine materiellen Bestandteile der Leistung sind“ (§ 31 Abs. 3 VgV). Hierzu gehören auch Vorgaben zur Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen entlang der Produktionskette. Selbiges gilt für die Bundesländer, welche diese bereits für anwendbar erklärt haben, im Unterschwellenbereich nach § 23 Abs. 2 S. 1 UVgO.
Als Beleg für die Erfüllung von Nachhaltigkeitsmerkmalen der Leistungsbeschreibung können Gütezeichen eingefordert werden, wenn diese bestimmten Anforderungen genügen (siehe § 34 VgV bzw. § 24 UVgO). Der Kompass Nachhaltigkeit unterstützt Sie mit dem Gütezeichenfinder bei der Überprüfung dieser Anforderungen bei ausgewählten Gütezeichen in sieben Produktgruppen.
E. Ausschlusskriterien & Eignungsprüfung
In der Eignungsprüfung legen die Bietenden dar, dass sie über die nötige Fachkunde und Leistungsfähigkeit verfügen, um den Auftrag auszuführen.
Die Eignungskriterien dürfen bei Verfahren oberhalb der Schwellenwerte ausschließlich Folgendes betreffen:
Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung
wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit
technische und berufliche Leistungsfähigkeit. (§ 122 GWB und §§ 44-46 VgV). In der Unterschwelle sind diese Vorgaben nicht ganz so streng (vgl. § 31 ff. UVgO), da hier keine abschließende Aufzählung von Eignungsnachweisen existiert.
Neben den klassischen Kriterien zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit wie Umsatz, Bilanzen und notwendigen Versicherungen können im Rahmen der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auch nachhaltigkeitsrelevante Aspekte wie z.B. Angaben zum Lieferkettenmanagement überprüft werden.
Es gibt sowohl zwingende als auch fakultative Ausschlussgründe. Zwingende Ausschlussgründe führen zu einem Ausschluss eines Unternehmens von der Teilnahme am Vergabeverfahren zu jeder Zeit des Vergabeverfahrens. Bei Vorliegen eines fakultativen Ausschlussgrundes steht der Ausschluss des Unternehmens im Ermessen des Auftraggebers und unterliegt dem Gebot der Verhältnismäßigkeit.
Zwingende Ausschlussgründe mit Nachhaltigkeitsbezug:
Feststellung eines Verstoßes gegen „§ 232 und § 233 des Strafgesetzbuches (Menschenhandel) oder § 233a des Strafgesetzbuchs (Förderung des Menschenhandels)“ (§ 123 Abs. 1 Nr. 10 GWB)
Nachweis, dass „das Unternehmen seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern, Abgaben oder Beiträgen zur Sozialversicherung nicht nachgekommen ist“ (§ 123 Abs. 4 Nr. 1-2 GWB)
Korruptionstatbestände (§ 123 Abs. 1 Nr. 6-9 GWB)
Fakultative Ausschlussgründe mit Nachhaltigkeitsbezug:
Nachweislicher Verstoß gegen „geltende umwelt- sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen“ bei der Ausführung öffentlicher Aufträge. Darunter fallen auch Verstöße gegen die ILO- Kernarbeitsnormen
Das Unternehmen hat „im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen (…) durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird (§ 124 Abs. 1 Nr. 1,3 GWB)
Diese Ausschlussgründe gelten gem. § 31 Abs.2 UVgO auch im Unterschwellenbereich.
Dabei beziehen sich diese Ausschlussgründe aber stets nur auf den Bieter und nicht auf dessen Nachunternehmer bzw. Lieferanten. Es sei denn, diesem können in Ausnahmefällen die Verstöße seines Nachunternehmers zugerechnet werden.
F. Zuschlagskriterien
Jedes Angebot von geeignete Bietern, das die Merkmale der Leistungsbeschreibung, wird anhand von Zuschlagskriterien bewertet. Über Zuschlagskriterien können weitere Nachhaltigkeitsaspekte in die Vergabeentscheidung einfließen. Dem Grundsatz nach erhält das wirtschaftlichste Angebot, also das Angebot mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis, den Zuschlag. Bei dieser Wirtschaftlichkeitsprüfung können auch Nachhaltigkeitskriterien bewertet werden. Zudem ist es möglich, das Zuschlagskriterium „Kosten“ auf der Grundlage der Lebenszykluskosten der Leistung zu berechnen und somit das "wirtschaftlichste Angebot" mit weiteren, über die Anschaffungskosten hinausgehenden Kosten zu identifizieren (§§ 58, 59 VgV, bzw. § 43 UVgO). Zur Unterstützung bei der Berechnung der Lebenszykluskosten für verschiedene Produkte finden Sie auf den Seiten des Kompetenzzentrums innovative Beschaffung (KOINNO) eine Toolbox und weitere Informationen auf den Seiten des Umweltbundesamtes sowie einen Lebenszyklus-Tool-Picker beim Kompetenzzentrum Innovative Beschaffung.
Bei der Definition der Zuschlagskriterien ist es wichtig, dass diese eine Verbindung zum Auftragsgegenstand aufweisen. Dies ist gegeben sobald „sich ein Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht, auch wenn sich diese Faktoren nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes auswirken“ (§ 127 Abs. 3 GWB bzw. § 43 Abs.3 UVgO).
Die Begründung zur Vergaberechtsreform konkretisiert zudem, dass „ein zu beschaffendes Produkt, das aus fairem Handel (z.B. durch die Beachtung internationaler Standards, wie etwa die ILO-Kernarbeitsnormen entlang der Produktions- und Lieferkette) stammt, im Rahmen der Zuschlagswertung mit einer höheren Punktezahl versehen werden [kann] als ein konventionell gehandeltes Produkt. Damit steigen dessen Chancen, auch bei einem höheren Angebotspreis den Zuschlag zu erhalten“ (BT-Drs. 18/6281, S. 109).
Als Nachweis für die Erfüllung der Zuschlagskriterien können auch Gütezeichen verwendet werden.
Eine weitere Möglichkeit der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten beim Zuschlag bietet der Ausschluss ungewöhnlich niedriger Angebote. Wenn eine Überprüfung ergibt, dass der niedrige Preis auf einen Verstoß gegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Vorschriften zurückzuführen ist, kann das Angebot abgelehnt werden (§ 60 VgV bzw. § 44 Abs. 3 UVgO).
G. Auftragsausführung
Wurde der Auftrag vergeben, ist der Vergabeprozess abgeschlossen. Die Auftragsausführung ist damit dem eigentlichen Vergabeverfahren nachgelagert. Sie fällt damit unter die Privatautonomie und unterliegt nicht den strengen Richtlinien der Vergabeverordnungen. So können gerade solche Nachhaltigkeitskriterien, die nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem erworbenen Produkt stehen bzw. den Produktionsprozess betreffen, im Vertragswerk untergebracht werden. Die Ausführungsbedingungen müssen allerdings bereits in den Vergabeunterlagen kenntlich gemacht werden.
Beispielhaft ausgewählte Nachhaltigkeitsaspekte können für die Auftragsausführung im Vertrag berücksichtigt werden:
Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes oder höhere Entlohnung (auch an Subunternehmer)
Einhaltung der ILO Kernarbeitsnormen entlang der Zulieferkette (mit Forderung glaubwürdiger Nachweise oder regelmäßiger Berichte von Subunternehmern im nicht-europäischen Ausland)
Kriterien des Fairen Handels
Beibehaltung von vorhandenen Gütezeichen: Sollten die Anforderungen eines Gütezeichens steigen oder eine Lizenz auslaufen, so soll der Anbietende auch diese neuen Kriterien erfüllen und re-zertifiziert werden
Anforderungen bzgl. der Einstellung von Langzeitarbeitslosen oder benachteiligten Bevölkerungsgruppen sowie Durchführung von Weiterbildungsmaßnahmen
H. Vertragsmanagement und -monitoring
Unter Vertragsmanagement und -monitoring versteht man die Überwachung, Steuerung und Dokumentation der vergebenen Aufträge über den gesamten Auftragszeitraum hinweg, sowie die Planung von Vertragsverlängerungen und Anschlussverträgen. So kann eine dauerhafte Qualität und Konformität mit der Leistungsbeschreibung und dem Vertragswerk sichergestellt werden. Ein gut durchdachtes Vertragsmanagement ermöglicht es, auch nach der Vergabe die vom Bietenden ausgewiesenen Nachhaltigkeitskriterien zu überwachen und ggf. Korrekturen vorzunehmen.
Folgende ausgewählte Instrumente können beim Vertragsmanagement und –monitoring angewandt werden:
- Stichproben und zufällige Kontrollen der Produktionsstätten durch den Beschaffenden selbst oder andere Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers
- Regelmäßige Überprüfung der Sozial- und Umweltvoraussetzungen durch externe Gutachter
- Fragenkatalog zur Verlaufskontrolle und Dokumentation der Produktion
- Regelmäßiges Berichtswesen zu den Sozial- und Umweltstandards durch die Anbieter
- Evaluation der Ergebnisse von Dienstleistungen (z.B. Müllproduktion bei Gartenbaudienstleistungen)
- Zwischenverhandlungen: Welche zusätzlichen Verbesserungen der Nachhaltigkeit kann der Auftragnehmer im laufenden Vertrag bereits erbringen?
Überprüfung der Leistungsparameter für Lebenszykluskosten